Touch me: Zeitgemäße Oszilloskop-Bedienung

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29.08.2015 von plaintron

Seit gut zwei Jahren steht ein neues Oszilloskop auf meiner Anschaffungsliste. Aber wie das immer so ist, wenn ich etwas kaufen möchte: Erst mal muss genau verglichen werden, welche Geräte mit welchen Features am besten für meine Zwecke geeignet sind, ob sie ihren Preis auch wert sind und ob ich in zehn Jahren voraussichtlich immer noch den Eindruck haben werde, einen guten Kauf gemacht zu haben.

Aktuell arbeite ich immer noch mit einem Analog-Oszi von Hameg, einem HM404. Das habe ich vor über 15 Jahren gekauft und jederzeit den Eindruck gehabt, dass es sein Geld wert war. Was mir daran allerdings fehlt, sind all die tollen Funktionen eines digitalen Speicheroszilloskops. Mein kleines Taschenoszi langt da natürlich nicht.

Bei meinen Vergleichsstudien ist mir aufgefallen, dass die meisten modernen Geräte im Prinzip das gleiche Interface haben wie vor 30 Jahren. Dazu kommt, dass selbst bei renommierten Herstellern die Potis, Drehgeber und Tasten klapperig ausgeführt sind und sich billig anfühlen. Ist das noch zeitgemäß im Zeitalter von Multitouch und Bluetooth? Oder wäre vielleicht ein Oszilloskop-Modul mit einem Anschluss für PC bzw. Tablet sinnvoller? Gibt es vielleicht alles in einem Gerät, also hochwertige Signalverarbeitung und moderne Bedienelemente?

Es kommt aber noch ein anderer Punkt dazu: Nennt mich oberflächlich, aber meine Messgeräte sollen auch irgendwie so aussehen, dass ich sie ernst nehmen kann. Das heißt, sie sollen sinnvolle Bedienelemente besitzen, die so angeordnet sind, dass sie gut erkennbar und intuitiv bedienbar sind, und das bitte in einer professionell gestalteten Optik. Diese bonbonfarbenen Oberflächen bei Peaktech oder Owon fine ich albern. Rigol-Geräte wirken auf den ersten Blick wie Plastikspielzeug. Selbst die Billigserie von LeCroy überzeugt mich nicht. Die teuren Geräte mit der schwarzen Front sehen schon eher wie richtige Laborgeräte aus und haben auch technisch etwas zu bieten.

Zunächst habe ich mir die Geräte von PicoScope angesehen. Zwischen 900 und 2000 Euro sind dort brauchbare Teile dabei, mit Bandbreiten ab 100MHz. Aber will ich wirklich jedesmal, wenn ich kurz ein Signal messen will, den PC hochfahren? OK, mit einem separaten Notebook oder einem Windows-Tablet am Messplatz würde das schon gehen. Aber da kommen dann noch mal Kosten dazu, die ich lieber in ein hochwertigeres Messgerät investieren könnte. Außerdem fühlt sich das irgendwie nicht gut an, wenn der PC für die Darstellung des Bildes zuständig ist, das er aus Daten generiert, die über ein USB-Kabel kommen. Als Analogmensch fehlt mir das Vertrauen in den Rechner. Ich weiß, das ist technisch bei kompletten Digital-Oszis nicht viel anders, aber es wirkt irgendwie direkter, wenn alles in einem Gerät ist. Mehr so ein subjektives Ding.

Dann gibt es diverse Lösungen, die ein Tablet als Anzeige nutzen. Das finde ich schon ein sympathisches Konzept, aber bisher überzeugt das technisch alles noch nicht so recht. Labnation bietet ein Gerät mit 100MS/s an, was ich etwas dünn finde. Die Geräte von Oscium benötigen ein Apple-Gerät mit Lightning-Anschluss und bringen es auf maximal 50 Megasamples. Das hilft auch nicht so recht weiter, außer vielleicht als komfortabler Logic-Analyzer.

virtualbenchDeutlich professioneller geht es bei National Instruments mit der Virtual Bench zu. Darin ist außer einem MSO auch noch ein Netzteil, ein Funktionsgenerator und ein DMM enthalten. Die Darstellung erfolgt über einen Windows-PC/Tablet oder ein iPad via WLAN oder USB. Mit 100MHz Analogbandbreite und 1GS/s ist das schon ein ordentliches Werkzeug.

Peaktech hat bei zwei Geräten ein klein wenig Touch eingebaut. Das beschränkt sich aber, so weit ich das erkennen kann, auf ein paar Zusatz- und Auswahlfunktionen am Rand des Displays.

Letzte Woche kam der aktuelle Katalog von ELV bei mir an. Üblicherweise weiß ich schon was da drin steht, aber ein Gerät ist mir dann doch besonders aufgefallen: Ein Oszilloskop-Tablet von Micsig (tBook-Serie). Das Teil sieht aus wie ein stark übergewichtiges iPad mit BNC-Anschlüssen und scheint alles zu beinhalten, was man von einem ordentlichen Oszi erwartet: Großer kapazitiver Touchscreen tablet-oszi(10,1 Zoll), 1 GS/s, Akku- oder Netzteilbetrieb, 150MHz Analogbandbreite. An mathematischen Funktionen sind die üblichen 5 vorhanden: +,-,*,/,FFT. Leider keine Integration, aber das ist in der Preisklasse auch eher selten (ca. 1000 Euro Straßenpreis).

Ja, insgesamt scheint mir das ein zukunftstaugliches Konzept für Oszilloskope zu sein. Hoffentlich kommen noch mehr Hersteller auf die Idee. Vielleicht warte ich doch noch eine Weile mit der Neuanschaffung oder schaue mir eines der Micsig-Geräte aus der Nähe an.

 

Wenn Ihr ähnliche Geräte kennt oder schon getestet habt, freue ich mich über Hinweise in den Kommentaren (wenn nicht, natürlich auch).

 

Links:

Oscilloscope Waveform Update Rate Determines Probability of Capturing Elusive Events
http://cp.literature.agilent.com/litweb/pdf/5989-7885EN.pdf

Testbericht: USB-Oszilloskope der Einsteigerklasse
https://konnitschiwa.wordpress.com/2013/10/14/testbericht-usb-oszilloskop-von-pearl/

Oszilloskop Tastkopf für iPod, iPhone und Android
http://www.nicomania.de/ipod/oszilloskop-tastkopf-fuer-ipod-iphone-und-android

First 100MS/s Open Source Oscilloscope for iPad, Android and PC
http://powerelectronics.com/blog/first-100mss-open-source-oscilloscope-ipad-android-and-pc

OscBox Bluetooth DSO
https://www.youtube.com/watch?v=b5fyA2NjbgE

Micsig tablet oscilloscope Basic Operation
https://www.youtube.com/watch?v=ki9yBaRoxY0

Review of National Instruments VirtualBench
https://www.youtube.com/watch?v=hNksWHJ2rZE

7 Kommentare zu “Touch me: Zeitgemäße Oszilloskop-Bedienung

  1. lowcurrent sagt:

    Einen Parameter finde ich gerade als Elektronikscope noch wichtig: Updaterate. Und hier kommen so PC/Tablet Lösungen einfach nicht bei einem Tischgerät mit. Das ist sogar bei den hochpreisigen Geräten so, die als Tischgerät dann schon aus PC mit Scope Hardware bestehen (zB. Agilent 9000 oder so). Um Glitches usw zu sehen ist sowas einfach unentbehrlich. Genauso wie eine schnelle Bedienung. Für mich muss an einem Scope für jeden Kanal Offset und Abwächung auf einem dediziertem Knopf liegen (darum war bei der Arbeit, wo es nicht ganz so auf das Geld ankam Rohde und Schwarz sowie LeCroy gleich raus).

    Privat bin ich mit meinem Rigol DS2000 sehr zufrieden auch wenn die Knöpfe sich nicht wie Agilent anfühlen ;). Ich war schon einige Male am Überlegen mein DS2000 gegen diesen neuen 1000er zu tauschen für 4 Kanäle. Aber irgendwie ist das 2000er in fast allen Specs doch deutlich besser. (Alleine schon der 500µV/Div Bereich, da kann nicht mal das 4000er Agilent bei der Arbeit mithalten). Und sooo oft braucht man privat 4 analoge Kanäle auch nicht. Meist kann man sich da mit Logic Analyzer oder einfacher externer Triggerung behelfen. Achja, und integrieren kann es auch 😉

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  2. plaintron sagt:

    Was die Bedienung betrifft, bin ich mir nicht ganz sicher, ob es einfach eine Frage der Gewohnheit ist. Hingreifen, Knopf drehen und fertig mag ich bisher auch am liebsten. Aber vielleicht eignet man sich mit dem Touchscreen einen anderen Arbeitsablauf an, der auch Vorteile hat. Mir ist danach, das zu versuchen.

    Bei der Update-Rate fühle ich mich am Analog-Oszi einfach am sichersten, weil ich weiß, dass alles, was im Signal passiert, auch auf dem Schirm landet. Aber auch das ist so eine gefühlte Geschichte. Das DSO kann ich darauf programmieren, auf bestimmte Ereignisse zu reagieren, die ich möglicherweise am Analogschirm mit bloßen Auge überhaupt nicht erkenne. Auch da bin ich unsicher und würde es am liebsten an konkreten Beispielen selbst erleben.

    Bei Rigol greifen alle fleißig zu dem Vierkanäler, habe ich den Eindruck. Der Teardown des 2000er bei Dave war allerdings hochinteressant und im Analogteil waren schon deutliche Vorteile zu erkennen. Das alleine hat bei mir schon dafür gesorgt, nicht zum 1000er zu greifen. Die Integrierfunktion hatte ich glatt übersehen. Das gibt einen Doppelextrapluspunkt.

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  3. lowcurrent sagt:

    Das DSO kann aber halt auch nur reagieren, wenn es schnell genug ist. Und typische Sachen, wie ein komisch aussehender Glitch der nur alle paar hundert mal oder so auftritt geht halt leicht unter, wenn man nicht ordentlich Updaterate hat. Agilent hat da ja schöne Beispiele für Dinge die ihre Scopes sofort sichtbar machen, während man bei der Konkurenz teilweise minutenlang auf das Bild schauen muss um diesen Vorgang einmal zu sehen.
    Und auch analoge Scopes sind ja nicht unendlich schnell wieder bereit für den nächsten Schuss. Naja, die Agilent Scopes mit 1Million Waveform Updates pro Sekunde sind privat leider eh unerschwinglich. Aber ob ein Scope 2000 oder 40.000 macht ist schon ein Unterschied.

    Zudem braucht man echt Speicher. Ich habe vor einiger Zeit mal mit so einem Uni-T Scope gespielt und das war sehr leicht durch Aliasing Effekte dazu zu bringen einfach nichts anzuzeigen, obwohl ein riesen Signal anlag.

    Bei der Bedienung ist es wohl wirklich Gewohnheit. Ich konnte mich zum Beispiel nie mit Tek anfreunden. Und es gibt so ein paar Dinge, die man irgendwann nicht mehr missen will. ZB. kann man bei Agilent und auch bei Rigol auf die meisten Drehregler draufdrücken um zur Mitte oder zur sonstigen Standardposition zu springen. Das ist echt sehr angenehm.

    Wenn es um mehr Mathefunktionen geht als nur mal eben ne FFT, dann mache ich sowas lieber am PC. Dafür muss das Scope dann entsprechende Schnittstellen mitbringen. Je nachdem wo der PC steht ist LXI da wirklich angenehm. (Jetzt gerade werkel ich an einer Auswertung über die Kreuzkorrelation der beiden gemessenen Signale. Wenn es läuft schreib ich mal was dazu im Blog)

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  4. plaintron sagt:

    Hier noch der Link zu einer Appnote zum Thema

    Sehr anschaulich, danke. Habe ich gleich mal an den Artikel angehängt.

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  5. […] aktueller Artikel bei Michael Floessel passt gut zu meinem Beitrag über PC-Oszilloskope. Hier hat er sich mit dem Hantek6022BE unter Windows 10 […]

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  6. […] Regal befindet sich mein gut abgehangenes und schwenkbar montiertes Hameg HM404-Oszilliskop und darunter steht ein kompakter und ziemlich betagter Regeltrenntrafo von Nordmende, den ich vor […]

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